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Dienstag, 3. November 2009

...auf dem Stein sitzend (V)





Als ich an diesem Tag über meine dünnen Beine zu meinen Füßen hinunter sah, der Stein war spürbar hart unter mir, glaubte ich, unten, weit unten im Gras sonderbare Gebilde aus waberndem Grün zu sehen. Sie waren vernebelt und gestaltlos. Während ich sie betrachtete und mit Mühe den Zusammenhang zwischen den erlebten Ereignissen des Tages und diesen undefinierbaren Formen zu finden suchte, bemerkte ich etwas, das mich, obwohl es Teil meiner Fantasie für den Rest meines Lebens bleiben sollte, immer von Neuem mit großem Erstaunen erfüllte.

Die Gebilde waren Ausdruck eines Gefühls, das ich nicht benennen konnte. Sie umspielten den Grund unter mir, und suchten Kontakt zu meiner Haut. Wie um sich Gehör und Einlass zu verschaffen wuchsen sie um mich herum und mahnten mich endlich eine Bedeutung für sie zu finden, damit ich sie in mich aufnehmen könnte. Ich könnte sie mir auf den Leib legen oder sie einatmen, in mich und auf mich reiben. Dann erst würde ich sie kennen, so wie man einen Apfel kennt, dessen Herkunft einem vertraut und dessen Duft und Geschmack sich mit der Farbe und der Spannung seiner Schalenhaut als besonderer Wert schon sehr früh in das kindliche Bewusstsein gedrängt hat und dort festsitzt für den Rest der Zeit.
Was also war es diesmal gewesen, das sich als rätselhafte Erscheinung abgesondert hatte um als pilzartiger Bodensatz des Tages mein Unterbewusstsein zu unterspülen? Es war eine winzige Begebenheit gewesen, die aus Hast und Blicken bestand und eben diesem einen Satz.
Während ich gerade große Blätter in unterschiedlichen Farben sammelte und als bunte Fächer in meiner Hand drapiert hatte, hörte ich Stimmen. Laute, wütende Männerstimmen hallten aus der Passage. Dann kam mein Vater mit weit ausholenden Schritten herausgerannt. Er gestikulierte mit den Armen, rief laut: „Ha!“, blieb stehen und kratzte sich am Kopf. Sein Blick fiel auf mich und er sagte den Satz, von dem er wissen musste, dass ich ihn nicht verstand: „In Amt und Würden! Weißgott, aber von Würde keine Spur!“ Als er weg war, kam Herr Steiner, der Obmann, der über alle herrschte und vor dem alle zitterten, aus dem Tor, blieb auch stehen und verzog das Gesicht zu einer sonderbaren Fratze. Er sah sich um. Als er merkte, dass der Hof bis auf mich verwaist war, rotzte er sich mit Mittelfinger und Daumen der rechten Hand den Schleim aus der Nase. Er schleuderte ihn quer über den Platz, räusperte sich heftig und öffnete sich mit den feuchten Fingern die Hose. Dann ging er zur Kastanie, wo er, kaum zwei Meter von mir entfernt, sonderbar grinsend sein Geschäft erledigte.



Ausgeliefert.
Der bunte Herbstblattfächer

löchriger Schutzwall








Mittwoch, 27. Mai 2009

auf dem stein.. (I)


dieses spiel hatte ich von klein an gespielt. am ende eines tages, kurz vor dem einschlafen, setzte ich mich in gedanken auf einen stein, einen, der so hoch war, dass ich gerade noch hinaufklettern konnte, ohne mir beim runterrutschen weh zu tun und schaute herunter. Ich betrachtete mir das erlebte. die einzelnen szenen des tages öffneten sich in meinem kopf wie zimmer einer puppenstube in die ich von oben hineinblickte und die menschen, denen ich begegnet war, spielten mir zwanghaft im zeitraffer noch einmal alles vor. die blickwinkel waren verengt, und die gefühle, die ich beim ablauf mitten im ereignis und danach gehabt hatte, waren klebrige bänder, die mich mit dem erlebten verbanden und es bis heute an mir haften lassen.
aha, sagte ich dann also, dort sitzt anna und brüllt. anna war an dem tag meine kontrahentin im sandkasten gewesen. annas mutter war während des geschreis aus dem haus gelaufen und hatte nach langem hin und her schließlich die gewünschten sandförmchen herbeigeschafft. weil anna aus einer laune heraus nicht zufrieden gewesen war, hatte sie ihrer mutter sand ins gesicht geschmissen. ihre mutter war mit kläglichem gewimmer wieder verschwunden. die ist blöd, hatte anna geknurrt. das verstand ich nicht, denn meine mutter war nie blöd, schon gar nicht, wenn sie mir sandförmchen hinterhertrug. aber bei anna war das anders.
auf meinem stein sitzend, dachte ich an annas mutter. die war jetzt im haus und wartete darauf, wie der kuckuck aus der uhr hervorzuschießen, nur weil anna glaubte, dass es zeit dazu wäre. mehr als den kuckuck und die uhr konnte ich mir nicht vorstellen, weil ich doch noch ein kind war. aber das reichte schon, um eine gewisse monotonisierung im ablauf der welt zu erkennen. und weil das mit anna und mit barbara und mit peter ähnlich war, mit kleinen abwandlungen natürlich, (ramonas, kevins und michelles waren noch nicht geboren), prägte sich mir das bild der welt als ein habgierig schnappendes maul ein, das in die hand, die ihr futter gibt, hineinbeißt.


gleichmäßig pocht
im gehäuse das uhrwerk
in meinem kopf

Mittwoch, 25. Februar 2009

Hamam

"Hamam-Dampfbad"

Auf der Suche nach einer Toilette in einem alten Restaurant mitten im Souk, wo im großen Saal fast ausschließlich Männer sitzen, die ihren Thé à la Menthe trinken und sich angeregt aber leise unterhalten, folge ich einem Pfeil mit arabischem Schriftzug tief hinunter in einen düster vor mir liegenden Kellergang, an dessen Ende ich Licht sehe.
Ich gehe darauf zu.
Weit in der Ferne höre ich die Geräusche der Stadt. Dann plötzlich ein Knick im Gang.
Da ist Lachen, heiteres Frauenlachen. Ich halte zögernd inne, vor mir ist eine Schwingtür, die sowohl unten als auch oben mindestens zwei Handbreit offen ist.

In der Dunkelheit
Duft von Minze und Seife
Klänge ertasten

Feuchte Luft kommt mir entgegen. Vorsichtig drücke ich den rechten Türflügel nach innen auf und gehe mutig hinein. Vor mir öffnet sich ein riesiger Raum, mit leichtem Dampf, Wärme und Hitze. Wenige Meter vor mir sitzt eine junge Frau auf dem weiß gekachelten Boden, neben ihr eine ältere, die gerade dabei ist, die Nackte abzuseifen.

Es ist wie ein Bild von Ingres, "Die große Odaliske", nur, dass mich die Frau nicht ansieht und dass der Ort ein anderer ist. Kein mit reichen Kissen und Decken verziertes Bett, sondern ein kahler von unten her beheizter Fliesenboden in einem sonst verwaisten Dampfbad. Nichts ist romantisch und doch nicht minder faszinierend. Die feuchten Haare der Badenden sind in groben Wellen hochgesteckt, einige Strähnen fallen über ihre weißen Schultern herunter. Es ist ein Bild in weichem konturlosem Weiß, mit Dampfschwaden und Weiß und Weiß, aus dem die schwarzen Haare das einzige hervorstechende sind.

Glut in den Wangen
Ein verbotenes Gebiet
Neugier hält mich fest

Ich stehe in der Tür. Die beiden bemerken mich nicht, sie unterhalten sich weiter, lachen dabei und die intensive Körperpflege, die mich an meine Kinderzeit erinnert, als mich meine Mutter liebevoll geschrubbt hatte, kommt mir neidvoll in den Sinn. Ich verharre reglos. Dann sehen sie mich. Sie lachen erneut und  winken mir zu, ohne wirklich ihre Tätigkeit zu unterbrechen, ohne sich wegzudrehen, ohne den Versuch zu machen die Nackte zu verhüllen.
So stehe ich da, in meinen Straßenkleidern am Eingang des Hamams, denn da bin ich gelandet, gar nicht verlegen, denn alles scheint das Natürlichste auf der Welt, und frage nach der Toilette. Gleich draußen, nur zwei Türen weiter vorne,  ich sei zu weit gegangen. Sie lachen wieder! Ich solle doch bleiben, es sei gerade nicht viel los, sie seien auch gleich fertig, ich könne mich schon einmal ausziehen und mich bereit machen, es sei doch so ein wunderbarer ruhiger Tag, ich solle doch die Gelegenheit beim Schopf ergreifen: "Saisissez l'occasion, Madame!" - Ich lache auch, bedanke mich und winke zum Abschied.
Das Lächeln, das sich in mir ausbreitet, wird noch lange anhalten, das weiß ich...

In der Zinkwanne -
Mutters Lachen
auf der Suche nach dem Floh

©gabriele brunsch

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